Branko Dimitrijevic

Interview anlässlich der Teilnahme am Oktobersalon Belgrad
2006


1. In der Fotoserie Im fotografischen Exil (Rache für Trotzki) kehrst du die in real-sozialistischen Systemen übliche Praxis des Ausradierens politisch unbequemer Personen aus historischen Fotodokumenten um. Das phantomgleiche Auftreten Leo Trotzkis in deinen Montagen ist auch eine Intervention in die Fiktion, die wir Geschichte nennen. Was waren deine Motive, solch eine symbolische Intervention durchzuführen und gab es eine bestimmte Strategie, nach der Du entschieden hast, in welche Fotos Trotzki hineinmontiert wurde?

Mir gefällt die Formulierung „the fiction, we call history“ sehr, denn sie passt in meine Vorstellung von Geschichte und ich möchte sie mit einem Zitat des deutschen Publizisten Sebastian Haffner ergänzen:

„Geschichte ist nichts vorgegebenes wie Natur. Geschichte selbst ist schon ein Kunstprodukt. Nicht alles, was je geschehen ist, wird Geschichte, sondern nur das, was Geschichtsschreiber irgendwo und irgendwann einmal der Erzählung für Wert erachtet haben...Geschichte – um es ganz scharf zu sagen – ist keine Realität, sie ist ein Zweig der Literatur.“

Wenn man den Begriff Erzählung um den Begriff Bild ergänzt, sind wir beim Thema.
Ein Bild kann wesentlich beständiger sein, als die Geschichtsschreibung selbst. Die Schrecken der Kriege, Verwicklungen, Ereignisse werden kaum prägnanter erinnert, als in einem nackten Mädchen, dass vor einem Napalmangriff in Vietnam davonläuft oder einem Flugzeug, das in ein Hochhaus stürzt. Solche Bilder haben einen großen Symbolgehalt, sie ergänzen und sie beeinflussen Geschichte.

Trotzkis Bild hat einen anderen Weg genommen.
Stalin hat sehr früh erkannt, das sein Kontrahent nicht nur physisch, sondern auch als Symbol eine Gefahr darstellte. So verfolgte er ihn bis zu seiner schliesslichen Ermordung und ließ parallel das Antlitz Trotzkis aus sämtlichen offiziellen Photographien retuschieren, als habe es ihn nie gegeben. Das ist an sich schon eine Farce. Trotzki war auf sehr vielen Fotografien abgebildet, die ihn als ständig präsenten, wichtigen Akteur des Geschehens auswiesen. So zu tun, als habe er gar nicht existiert, kann weniger als Behauptung aufgenommen worden sein, denn als Drohung. Zur Zeit der stalinistischen Gewaltherrschaft war es gefährlich, ein Bild Trotzkis zu besitzen. Sein Beispiel ist das prominenteste, ursprünglichste für Bildfälschung und es erschien mir neben dem tatsächlichen Schicksal auf dem bildnerischen Sektor als unglaublich abgefeimt und hinterhältig.

Das Thema der bildnerischen Auslöschung von Personen beginnt mit Trotzki und führt bis in die Gegenwart. In Diktaturen ist es üblich, das Oppositionelle verschwinden und sämtliche Spuren ihrer Existenz verwischt werden, bis hin zur Auslöschung von Namen aus Geburtsregistern. In der argentinischen Militärdiktatur sind die Müttern Verschwundener mit Fotos ihrer Söhne auf die Straße gegangen, zum Beweis von deren Existenz.

Der Titel Im fotografischen Exil gibt ziemlich viel der Arbeit wieder: Da die Person Trotzki von Fotos verschwunden ist, könnte sein Bild ja auf anderen Fotos zuflucht gesucht haben. Ein fotografisches Exil, so wie er selbst ein Verfolgter ist.
Die Situationen, in denen Trotzki nun auftritt, haben einen ähnlichen historischen Stellenwert, wie seine ursprüngliche Bildheimat und sind den Vorlagen in etwa ebenbürtig. Sie haben einen Bekanntheitsgrad und sind eher positiv besetzt, auch eine Würdigung des bildnerischen Schicksals, als Wiedergutmachung. Begreift man Trotzki nicht als Person, sondern als Idee, so erscheint sein Auftauchen auf Bildern mit demonstrierenden Bergarbeitern, spanischen Bürgerkriegskämpfern, Che Guevara oder Nelson Mandela durchaus plausibel.
Das bekannteste Beispiel einer Bildfälschung Trotzkis ist ein Foto der Lenin Rede auf dem Sverdlow-Platz 1920. Lenin gestikuliert auf einer Holztribüne vor einer Menschenmenge, der Rotarmist Trotzki steht auf der Treppe zur Tribüne. Auf der Fälschung sieht man die Treppenstufen, die vorher von Trotzki verdeckt waren. Diese Figur erscheint nun in ähnlicher Situation neben Boris Jelzin, der 1991 erhitzt auf einem Panzer den Putschversuch gegen Gorbatschow abwehrt. Hier schließt sich ein Kreis von der Russischen Revolution zum Ende der Sowjetunion.
Ich habe mal einen Vortrag vor Studenten von einer russischen Eliteuniversität für den höheren Staatsdienst gehalten und war sehr überrascht, dass sie die Arbeit verstanden und schätzten.
Mit dem Direktor des Instituts entspann sich eine Diskussion, ob der Bildauswahl nicht beliebig und austauschbar sei. Ich versuchte, mit einer Gegenfrage zu antworten, warum er denn Wissenschaft betreibe, wenn nicht auch aus Spaß an der Disziplin und ihren Möglichkeiten. Er antwortete, er suche die finale Antwort. Das finde ich anmaßend. Der Fiktion Geschichte eine weitere Variante hinzuzufügen bereitet mir Freude und ich finde es wichtig, über Geschichte nachzudenken und zu spekulieren.

2. Warum Trotzki? Er war in den 30er und 40er Jahren für die linken Anti-Stalinistischen Intellektuellen sehr einflussreich und beeinflusste auch Kunst- und Kulturtherotiker wie Clement Greenberg. Aber was für eine symbolische Rolle mag er heute in Kunst und Politik einnehmen?

Der Untertitel der Arbeit führt den etwas heißblütigen Begriff Rache für Trotzki. Der arme Trotzki wird gerächt, indem sein Bildnis wieder hervorgezaubert wird. Das mag romantisch klingen, aber das Beispiel Trotzkis ist der Beginn der Bildfälschung in großem Stil. Eine Arbeit über dieses Thema konnte nur ihn zum Motiv haben.
Die Person hat mich dabei weniger interessiert, als das Phänomen.
Selbstverständlich ist aber auch die Figur interessant. Immerhin war Trotzki federführender Akteur der Russsischen Revolution. Als Unterlegener im Machtkampf gegen Stalin verlor er nicht nur die Kraft zu gestalten, sondern auch die Möglichkeit zu Scheitern. Die kommunistische Utopie wurde in der Sowjetunion nicht erreicht und unter Stalin pervertiert. Das Trotzki eine wichtige Gegenfigur zum Stalinismus war, liegt auf der Hand. Daher war er für die westlichen Intellektuellen seiner Zeit als Augenzeuge und Theoretiker äußerst bedeutend. Breton hat schwärmerisch über seinen Besuch bei Trotzki berichtet. In den 70er Jahren gab es in Westeuropa Gruppen, die sich Trotzkisten nannten, aber kaum eine Rolle spielten. Aus dieser Zeit ist das einzige Kunstzitat der Serie. Ein Foto von Joseph Beuys, der bestimmt auf den Betrachter zumarschiert, Titel: La revolutione siamo noi“ – „die Revolution, das sind wir“. Mit ähnlicher Dynamik geht nun Trotzki auf den Betrachter zu – und wenn jemand die Revolution war, dann er. Heute spielt Trotzki wohl keine Rolle mehr



3. In welchem Verhältnis steht die Foto-Serie, die auf dem Oktober Salon in Belgrad zu sehen ist, zu deiner anderen Arbeit? Du arbeitest in sehr unterschiedlichen Medien: Skulptur, Malerei, Installation und du warst auch an einigen Projekten beteiligt...

Ich habe auch mal Geschichte und Politik studiert. Daher habe ich ein starkes Interesse an diesen Themen. Ich interessiere mich sehr für historische Bilder, Dokumentationen, Inszenierungen, Fälschungen.
Ein sehr schönes Beispiel heutiger Bildinszenierung ist Saddam Hussein. Seine selbstgefälligen Auftritte als brutaler Militär oder Staatsmann mit Flinte, als gedemütigten Kriegsgefangenen oder vor Gericht als elder statesman im grauen Vollbart mit Anzug, weißem Hemd und ohne Kravatte sind hochinteressant.

Die Arbeit Diktatoren mit Tieren zeigt 25 Tyrannen des 20.jhdts mit Tieren. Das Sujet ist nicht ungewöhnlich. Viele Herrscher ließen sich gern mit Löwen, Pferden oder Adlern abbilden. Diese Bilder zeigen aber zeigen sie mit Bibern, Pandas und Flamingos. Mussolini reitet einen Esel, Pol Pot sitzt vor einer Hyäne, Suharto, überfährt mit dem Motorroller einen Hahn oder der greise Pinochet streichelt einen Hund. Die Motive sind unspektakulär, es dauert, bis man die vielen Diktatoren erkannt und zugeordnet hat. Doch es sind viele und sie nehmen einen Großteil der Geschichte ein.

In der Kunsthalle Fridericianum habe ich dieses Jahr einen Fries aus Laubsägefiguren gemacht. Ein Band aus 80 Figuren über einer Länge von 60 Metern. Eine sehr luftige, ruhige Arbeit. Aus dieser Menge von Figuren sind viele im kollektiven Gedächtnis, Warschauer Ghetto, Spanischer Bürgerkrieg, Abu Ghraib.
Über solche Bilder denke ich nach und sie bewegen mich.
Aber du hast recht. Ich mache auch noch andere Arbeiten.